Regina Böker

Metal Realities

Helle Jetzigs Arbeiten auf Metall

 

aus: Helle Jetzig, Works 2004-2006, Katalog Galerie von Braunbehrens, München 2006

Helle Jetzigs Arbeiten sind unverwechselbar. Seine Bilder mit den glänzenden lackierten Oberflächen, durch die die Betrachter in leuchtende, farbige, beinahe surreale Welten und Szenerien schauen können, sind längst zu einem wiedererkennbaren Markenzeichen geworden.
Der künstlerische Einzelgänger hat seinen eigenen Stil, seine eigene spezielle Arbeitsweise über die Jahre entwickelt. Sie ist entstanden in ständiger Auseinandersetzung mit und Arbeit an dem, was den Künstler umtreibt. Helle Jetzig ist, was man „driven“ nennt, ein Getriebener, der ständig in und mit seiner Kunst und durch seine Kunst lebt. Sie entsteht „bei der Arbeit“, ist immer das Ergebnis der derzeitigen Auseinandersetzung mit ihr, der Kunst. Seine Bilder sind in erster Linie begreifbar als Produkte eines bestimmten Prozesses, bzw. mehrerer unterschiedlicher Werkprozesse mit unterschiedlichen Medien und Techniken, als Produkte der Auseinandersetzung mit Malerei und Fotografie, mit Wahrnehmung und Realität.

Neben diesen bekannten Arbeiten, hochglänzenden Malereien auf Schwarzweißfotografie, die hier im Text als Classics bezeichnet werden sollen, sind in den letzten Jahren aber auch ganze Serien von Bildern auf Metall, auf Titanzink, entstanden. Die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Arbeiten – die einen bestechen durch ihre leuchtende Farbigkeit und die glatten, hermetischen Oberflächen, während die anderen farblich zurückgenommener sind und Material und Bearbeitungsspuren deutlich hervortreten – sind für den Künstler selbst jedoch tatsächlich eher „zwei Seiten einer Medaille“. Die Arbeiten auf Metall sind für ihn lediglich eine andere Variante seiner Kunst, entstehen aber mit der gleichen künstlerischen Intention.

Schon immer ist für Helle Jetzig auch das künstlerische Material selbst von Bedeutung gewesen, hat er unterscheidlichste Materialien wegen ihrer jeweiligen Eigenschaften als solche eingesetzt.
Bei den Classics sind dies vor allem die vielen Lackschichten, die immer wieder zwischengeschliffen werden. Was für die Betrachter als glatte, durchsichtige Oberfläche erscheint, und den Bildern eine enorme Tiefenwirkung verleiht, ist für den Künstler das dickflüssige, gelbliche Material, das er mit dem Pinsel verarbeitet, in vielen Arbeitsgängen, die sich über Wochen hinziehen.
Im Gegensatz dazu werden in den Arbeiten auf Metall nicht nur die verwendeten Materialien, sondern auch die Art ihrer Verarbeitung für die Betrachter offensichtlicher, wird der Entstehungsprozess nachvollziehbarer. Die ästhetische Wirkung der Arbeiten beruht wesentlich auf den Materialeigenschaften von Zink und Lack durch die Art und Weise, wie Helle Jetzig sie benutzt. Bucklig, rissig, an anderen Stellen glatt und glänzend, bildet der Lack Inseln und farbige Finger, überlappen sich Flächen zu neuen Farben, lassen den metallischen Grund durchscheinen, der kalt glänzende oder warm strahlende unterschiedlichste metallicgraue Schattierungen aufweist. Fotografische Motive, Malspuren, verschiedenfarbige, zum Teil in vielen Nasen verlaufene Lackflächen und farbige Siebdrucke bilden ein reliefartiges Geflecht von haptischer und geradezu räumlicher Qualität.

Was bei den Classics das Fotopapier ist, auf dem durch mehrfache Belichtungen und fotochemische Entwicklung ein schwarzweißer Malgrund ensteht, ist bei den Metallarbeiten die Zinkplatte. Diese erfordert allerdings andere technische Vorgehensweisen des Künstlers.
Die Fotomotive werden nicht belichtet, sondern auf die Zinkplatte gedruckt und anschließend mit Säure geätzt. Es ist auch nicht möglich, mehrere Fotomotive zu einem neuen Bild zu überblenden, sondern es ist nötig, diese über- oder nebeneinander zu drucken, um Motive zu kombinieren. So entsteht quasi eine Zinkfotografie, die dem belichteten Fotopapier der Classics in der Anmutung durchaus ähnelt. Allerdings wird diese „Fotografie“ durch das Druckverfahren sehr grafisch, eher abstrakt als gegenständlich, weil die Grautöne der Fotovorlagen in zwei Farben, nämlich druckende und nicht druckende Bereiche, zerlegt werden. Der Charakter der Fotografie erfährt dadurch ganz von selbst eine Verfremdung, wirkt eher zeichenhaft als abbildend.

Das Ätzen mit Säure verrät den exzessiven Maler Helle Jetzig. Er benutzt einen Pinsel, verschüttet und verspritzt die Säure, lässt sie laufen, verwischt sie wieder. Durch unterschiedlich lange Einwirkzeiten erzeugt er ganz unterschiedliche Grautöne, die in Helligkeit und Stofflichkeit variieren, eine informelle Grisaille. Diese freie Technik, ein gesteuerter Zufall, ist reine Malerei mit anderen Mitteln. Nach jedem einzelnen Druck muss zunächst malerisch geätzt werden, bevor der nächste Druck und die Säuremalerei folgen. Immer sind Druck und Malerei Reaktion auf das Vorhandene, entwickeln sich frei, bis der Zustand den Künstler zufriedenstellt.
Malerei und Fotografie wachsen durch dieses malerische Verfahren zusammen. Anders als bei den Classics wird Fotografie nicht durch Malerei überlagert bzw. übermalt, sondern wird erst mit Hilfe der Malerei überhaupt sichtbar.
Auf der durch Druck und Säuremalerei entstandenen Grisaille arbeitet Helle Jetzig anschließend mit unterschiedlich pigmentierten Lacken. Auch hier folgt er seinem Malmaterial. Durch Gießen des Lackes, durch Drehen und Kippen der Platte entstehen Verläufe und Überlagerungen, die zu freien Formen führen. Farbige Siebdrucke von Fotomotiven liegen zwischen, auf oder unter den Lackschichten, werden durch Jetzigs malerische Vorgehensweise ebenfalls zu einem Teil der Malerei.

Diese malerische Herangehensweise ist die Ursache dafür, dass die fertigen Arbeiten trotz der unterschiedlichen Techniken und Materialien einen geschlossenen Gesamteindruck vermitteln. Mit malerischen Mitteln erscheinen die Grenzen zwischen den Medien aufgehoben, werden alle Bildbestandteile zu einem Ganzen, vermag Helle Jetzig seinen Metallarbeiten eine spezielle Magie zu geben.
Auch wenn beispielsweise „Uit den Vreemde“ wie ein Motto ins Auge springt, (Uit den Vreemde M 4, Abbildung Seite…) so wird es dennoch nicht getrennt von den übrigen Bildbestandteilen wahrgenommen. Die geballte dunkle Form, die das Bild dominiert, die zart nach links verlaufenden grauen Linien, die braune, und dennoch transparente Lackfläche, gelbe Lackspuren, die Blau zu Grüntönen überlagern, eine Hausfassade mit Fahnen, ein Schild „Café du Thèâtre“, ein Fahrrad, nur zeichenhaft im blaugrünen Rechteck, der nach links ausschreitende „Bürger“ und der geradeausschauende „Anarchist“ als grüne Schablonen, all diese über- und untereinanderliegend, verbunden durch gestische, bewegte Malspuren auf glänzendem Grund.
All diese Elemente erzählen von verschiedenen Zuständen und Realitäten, bleiben spürbar und sind doch verwandelt. Sie sind ins Bild gesetzt durch einen einen leidenschaftlichen Maler, der es virtuos versteht, innere Befindlichkeit, Seele, Gefühle, Gedanken, in Gesten und Bewegungen, in Farben und Formen umzusetzen und den Dingen so ein neues Leben zu geben, eine eigene Realität.

Ist bei den Classics die Versuchung noch groß, vordergründig die Fotografie als Bedeutungsträger zu betrachten, wird bei den Metallarbeiten offensichtlich, dass der eigentliche Inhalt darüber hinaus auf einer Metaebene zu sehen ist. Helle Jetzig geht es auch hier um das Ausloten unterschiedlicher Bildrealitäten. Vielschichtig – im übertragenen wie im Wortsinn – spiegeln seine Bilder die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Realität wider, sind mehrdeutig, wie das Leben selbst.